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Was ist eigentlich Selbstverteidigung ?

Nach über 40 Jahren als Wing-Tzun Lehrer erkenne ich rückblickend wie wechselhaft die Begriffe Kampfkunst, Kampfsport und Selbstverteidigung in ihrer Begrifflichkeit zugordnet bzw. verwechselt werden. In den 70’igern waren Boxen, Karate, Jiu-Jiutsu, Judo, Ringen und dann Kung-Fu usw. die Oberbegriffe dessen, was man im Allgemeinen als Kampfsport verstanden hat. Der dazugehörige Input wurde dann auch durch Kinofilme, Videos und Vorführungen auf Budo Veranstaltungen geprägt und gab dem Laien einen Einblick in diese spezielle Welt des Kampfszene und formte somit auch Sehnsüchte und Erwartungen in Bezug auf Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der jeweiligen Systeme. Dieses Szenario hat sich dem Zeitgeist enpsprechend über die Jahrzente erweitert, Thai-Boxen, Kickboxen, K1, Pride, Käfig-Kämpfe (MMA) usw. sind ebenso etabliert und erfreuen sich einer großer Beliebtheit. Parallel dazu haben sich ebenso auch Systeme für die reine Selbstverteidigung etabliert, Wing-Tzun, z.B. Krav Maga, oder zahlreiche Derivate, die letztendlich nur eine Mixtur aus verschiedenen Systemen sind.

Kampfsport sind Wettbewerbe mit Regeln

Was alle Kampfsportarten vereint ist die Vorstellung dessen, was ein Kampf sein könnte, mit welchen Techniken und Strategien dieser geführt wird und auf welche Weise das System dementsprechend trainiert werden muß. Die Verkörperung besonders hervorstechender Merkmale wie Fitness, Härte (teilweise auch Brutalität), enormer Schlag- und Trittkraft und einer professionellen Physis, sind für viele Betreibenden ausreichende Motivation. Dazu gesellt sich dann das Ansehen innerhalb der Szene, Titel, die durch Wettkämpfe errungen werden. Die Illusion der eigenen Unbesiegbarkeit ist und bleibt die stärkste Kraft eines Ego bezogenen Menschen, der den Vergleich als Bestätigung und Ansporn seines Könnens betrachtet. Dazu gesellt sich eben auch ein ein Nymbus, den schon die Gladiatoren im Kolossum genossen haben : Heldenstatus, somit auch Geld und Vermarktung, eben Business.

Jedoch haben alle diese System eines gemeinsam, sie dienen nicht primär der Selbstverteidigung, sondern der physischen Zerstörung des Gegners und das mit Einwilligung eigener möglicher Kolateralschäden, die im Falle einer “sportlichen” Auseinandersetzung zu erwarten sind und somit die Gefährdung der eigenen Gesundheit in Kauf nehmen. Diese Vergleiche haben mit der Realität wenig zu tun, es sei denn ich habe eine Vorliebe für Street-Fights, um aus einer harmlosen Selbstverteidigungssituation eine großangelegte Schlägerei zu machen. Eines gilt es zu wissen, es gibt auf der Strasse weder nur einen Gegner (den ich wochenlang per Video Analyse studieren kann), ein Regelwerk, Boxhandschuhe, Tiefschutz, Zahnschutz, Schiedsrichter, die die Kämpfer wieder trennen, einen motivierenden  Fanclub im Hintergrund, einen ratgebenden Coach, ein Ärzteteam, eine leere saubere und abgegrenzte Kampfläche und eine zeitliche Vorgabe für die Kampfdauer. Die Realität auf der Strasse bietet hingeben nur Nachteile und Gefahren und unvorhersehbare Szenarien. Das Umfeld spielt eine entscheidene Rolle, Garage, Zug, Veranstaltungen, Fahrstuhl, Rolltreppe, Kneipe, Disko, Hausflur, Bahnsteige, Treppen uvm. sind Faktoren, die im Falle einer Selbstverteidigung zu berücksichtigen sind.

Selbstverteidigung ist die Realität in der Öffentlichkeit

Selbstverteidigung hingegen verfolgt ein ganz anderes Ziel und ist somit konzeptionell auch anders aufgestellt. Selbstverteidigung ist Notwehr, ein im Gesetz festgelegtes Szenario, dass jeder Bürger in Anspruch nehmen darf. (siehe Notwehr)

Selbstverteidigung muß überall funktioneren, selbst unter widrigsten Umständen, auf engstem Raum, in unübersichtlichen Situationen, gegene mehrere Gegner, bei Tag und Nacht, sowohl stehend, sitzend oder liegend, unabhängig von der Kleidung, die getragen wird und egal zu welchem Zeitpunkt der Angriff erfolgt. In der Selbstverteidigung kenne ich weder den Gegner noch seine Vorkenntnisse, geschweige denn seine Motivation oder seine geistige Verfasssung. Im eigentlichen Sinne ist Selbstverteidigung eine Methode seine Gesundheit und sein Leben zu schützen und sich von der akuten Gefahr zu distanzieren. Sobald die Möglichkeit der Flucht besteht, sollte diese Option genutzt werden und eine gute Selbstverteidigung eröffnet mir diese Chance. Selbstverteidigung ist nicht gleichbedeutend, dass ich mich mit dem Angreifer duellieren will, oder vielmehr versuche mit der gleichen Methodik zu reagieren, wie der gegnerische Angriff. Je ähnlicher meine “Techniken” die des Angreifers sind, um so aussichtsloser sind meine Aussichten auf Erfolg. Konventionelle Kampfsportarten haben ein bekanntes Repertoire, das im Falle einer Auseinandersetzung zu einer Deckungsgleichheit führt, somit ergeben sich keine Überraschungsmomente, denn instinktiv reagiert jeder Kämpfer am routiniertesten auf Abwehr und Angriffs Bewegungen, die er selber kennt. Erster fataler Fehler in einer Selbstverteidigungs Situation ist also sich auf die Spielwiese des Angreifers zu begeben.

Die Illusion des Strassenkampfs

Wenn im Geiste ein Strassenkampf wie eine sportliche Begegnung betrachtet wird, so erhöht sich die Gefahr einer Niederlage um ein Vielfaches. Statistisch gesehen erhöht sich die Gefahr der eigenen Niederlage mit der Dauer des Kampfes und zwar jede Sekunde. Faktoren wie Kampfeswillen, Schmerzunempfindlichkeit, körperlichere Härte, unfaire “dreckige” Kampfesführung und geringe moralische Skrupel sind Eigenschaften, die in der Realität zu erwarten sind. Kampf appelliert an das Kleinhirn (Instinkt) und nicht an die Großhirnrinde (Ratio), wo alles analysiert und entschieden wird. Kampf ist geprägt durch Instinkte, Angst und Schreckreaktionen, die sich in Sekundenbruchteilen abspielen. Somit muß zwingender Maßen die eigene selbstschützende Verhaltensweise reflexartig erfolgen, also silmutan zum Problem (Angriff des Gegners). Erschwerend kommen Faktoren dazu, da der Gegner womöglich größer, kräftiger und schwerer ist, als man selbst. Niemals sollte das eigenen Schutzverhalten dazu dienen, den Gegner zu weiteren Angriffen zu animieren oder emotional aufzuheizen, um seine eigentliche Absicht mit noch mehr Nachdruck durchsetzen zu wollen.  An dieser Stelle einige no go’s Punkte.